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Dienstag, 1. März 2011

Einseitiger Waffenstillstand der kurdischen Guerilla beendet




Gestern endete der von der kurdischen Freiheitsbewegung am 13. August 2010 verkündete einseitige Waffenstillstand. Die Feuerpause war zuvor, trotz massiver militärischer und polizeilicher Operationen in der Hoffnung auf ernsthafte Verhandlungen zweimal verlängert worden. Unter der Erfüllung von 5. Bedingungen hätte diese Waffenruhe in einen dauerhaften Waffenstillstand umgewandelt werden können: Stopp aller militärischen und politischen Operationen, Freiheit für alle inhaftierten Politikerinnen und Politiker, Einbeziehung des inhaftierten Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans PKK Abdullah Öcalan in Verhandlungen, Einrichtung einer Verfassungs- und Wahrheitskomission, Absenkung der parlamentarischen 10%-Hürde.


Keine dieser Forderungen wurde erfüllt, im Gegenteil, die politischen Operationen verschärften sich, mit Frühlingsbeginn beginnen die Bombardierungen, die Roadmap von Abdullah Öcalan wurde beschlagnahmt und nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, trotz der fast täglichen Öffnung neuer Massengräber wird die Einrichtung einer Wahrheitskomission abgelehnt und Premierminister Erdoğan lehnte öffentlich die Absenkung der 10%-Hürde ab. Als entscheidend betrachtete die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistan KCK, zu der auch die kurdische Guerilla HPG gehört, das Vorgehen der türkischen Justiz im sog. KCK-Verfahren, das im ersten Prozess sich gegen 151 der im Moment nahezu 2000 inhaftierten kurdischen Politiker_innen richtet. Hier wurde konsequent ein Verbot der Verteidigung in „einer unbekannten Sprache“, wie die Richter zur kurdischen Sprache sagten, durchgesetzt und somit die Angeklagten dem Recht auf eine juristische Verteidigung in Muttersprache beraubt.

Andererseits entwickelten mit dem Staat verbundene Terrorgruppen in den letzten Monaten eine Steigerung ihrer Aktivität gegen die kurdische Bevölkerung. Nach der Ankündigung Erdoğans, die Region Colemêrg (Hakkari) müsste von der PKK „gesäubert werden“, explodierte eine Bombe am 16. September 2010 unter einem Minibus, der aus dem Dorf Peyanis nahe Colemêrg (Hakkari) kam, welches zu 98% die kurdische Freiheitsbewegung unterstützt. 9 Menschen starben. In der Nähe des Tatorts ließen die Täter, da sie gestört wurden Rucksäcke von Militäreinheiten und Ausrüstung der türkischen Armee zurück. In Gever (Yüksekova) fanden mehrere Bombenanschläge auf Einrichtungen der linken Partei für Frieden und Demokratie BDP statt, weiterhin begann eine Gruppe, die sich „Mezit“ nennt, ihre Aktivitäten in der Region u.a. mit einem versuchten Bombenanschlag auf Zivilist_innen in Gever (Yüksekova). Ihr erklärtes Ziel ist ebenfalls Gever (Yüksekova) „von PKK, KCK und ihren Symphatisanten“ zu säubern.

Unter anderem diese bedrohlichen Entwicklungen machen deutlich, dass die AKP-Regierung der Türkei nicht an einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage interessiert ist und auf diese Weise eine Fortsetzung des Waffenstillstands verunmöglicht hat. Diese Einschätzung teilen etliche zivilgesellschaftliche Organisationen, die BDP, der Demokratische Gesellschaftkongress DTK und viele Intellektuelle, die den Waffenstillstand unterstützt haben. Der Covorsitzende der BDP Selahattin Demirtaş warnte mit deutlichen Worten vor einem bevorstehenden kurdischen Aufstand, da die türkische AKP-Regierung jeden Waffenstillstand seit ihrem Regierungsantritt 2002 vergeudet habe. Die AKP habe das Thema friedliche Lösung nicht aufrichtig behandelt und „Nur um ihre Stimmen zu erhöhen, ihre Hegemonie zu verstärken benutzt. Die kurdische Bevölkerung wird ihre eigene Lösung nun aus eigener Kraft schaffen. Trotz 20 Jahren Massakern und jeder Form von Unterdrückung hat sie nicht von ihrem Kampf abgelassen. Nun wird sie Initiative in die eigenen Hände nehmen.“ Weiterhin forderte er Premierminister Erdoğan auf, sich sofort dazu zu Verhalten und zu erklären ob er eine Kampfphase wolle oder ein konkretes Lösungsprojekt vorschlagen werde.

Die Region ist wie ein Pulverfass“
Er warnte die Regierung eindringlich: „Die Region ist jetzt wie ein Pulverfass. Es steht kurz vor der Explosion. Diese Menschen wurden jahrelang vertröstet, beleidigt, betrogen und auf den Straßen zusammengeknüppelt. Ihnen gegenüber können Sie nicht behaupten, Sie würden eine demokratische Öffnung machen. Diese Menschen werden eines Tages mit einemAufstand beginnen, den niemand mehr stoppen können wird. Wir sehen, dass dieser Punkt der Explosion nahe ist. Aber was das für eine Auswirkung auf die Gesellschaft haben wird, sehen wir mit Sorge. Wir suchen eine politische Lösung. Aber die Ohren der Regierung sind taub und ihre Augen sehen nichts.“

Die kurdische Guerilla kündigte zu ihrem weiteren Vorgehen an: „In dieser Situation werden unsere Kräfte, sich gegen Angriffe noch wirksamer Verteidigen, aber dennoch keine Kräfte, die nicht zur Operation aufbrechen und sich nicht gegen die Bevölkerung richten, angreifen. Wie die Phase, die vor uns liegt, aussieht, ist abhängig vom Verhalten der AKP-Regierung und der staatlichen Kräfte.Insbesondere das Verhalten des Staates im März, am 8. März, dem Frauentag und dem kurdischen nationalen Feiertag Newroz wird wichtig sein. Bezüglich dieses Themas weisen wir alle Kreise darauf hin, verantwortungsvoll und sensibel zu sein.“

In diesem Zusammenhang ist es sicher für uns als Linke in Deutschland sinnvoll, sich an den hiesigen Demonstrationen der kurdischen Freiheitsbewegung u.a. zu Newroz zu beteiligen und die Lage im Land genau zu beobachten.


Libyen und der Imperialismus

Libyen und der Imperialismus


Kommentar

Von Sara Flounders
Von allen Kämpfen, die gegenwärtig in Nordafrika und dem Nahen Osten ausgetragen werden, ist der in Libyen am schwierigsten zu entwirren. Welchen Charakter trägt die Opposition gegen das Regime Muammar Al-Ghaddafis, die, Berichten zufolge, Bengasi im Osten des Landes kontrolliert? Ist es nur ein Zufall, daß die Rebellion in Bengasi begann, einer Stadt, die nicht nur nördlich der reichsten Ölfelder Libyens liegt, sondern auch in der Nähe der meisten seiner Öl- und Gaspipelines, Raffinerien und seines Hafens für verflüssigtes Erdgas? Gibt es einen Plan, das Land zu teilen? Wie groß ist das Risiko einer imperialistischen Militärintervention, die die größte Gefahr für die Menschen der gesamten Region darstellen würde?

Libyen ist nicht Ägypten. Sein Führer, Muammar Al-Ghaddafi, war keine Marionette des Imperialismus wie Hosni Mubarak. Über viele Jahre war Ghaddafi Verbündeter von Ländern und Bewegungen, die den Imperialismus bekämpften. Als er in einem Militärputsch 1969 die Macht übernahm, nationalisierte er das libysche Öl und investierte einen Großteil des Geldes in die Entwicklung der libyschen Wirtschaft. Die Lebensbedingungen der Menschen verbesserten sich dramatisch. Deshalb waren die Imperialisten entschlossen, Libyen zu zermürben. 1986 bombardierte die US-Luftwaffe Tripolis und Bengasi und tötete 60 Menschen, darunter auch Ghaddafis kleine Tochter – aber das wird von den Konzernmedien gern verschwiegen. Die USA und die UNO verhängten verheerende Sanktionen, um die libysche Wirtschaft zu ruinieren.

Nachdem die USA im Jahr 2003 den Irak überfallen und mit massiven Bombardements – die sie triumphierend »Schockmethode« nannten – große Teile von Bagdad dem Erdboden gleich gemacht hatten, versuchte Ghaddafi, die Gefahr einer weiteren Aggression gegen Libyen abzuwehren, indem er den Imperialisten gegenüber große politische und wirtschaftliche Zugeständnisse machte. Er öffnete die Wirtschaft für ausländische Banken und Konzerne; er akzeptierte die Forderungen des IWF nach »Strukturanpassungen«, privatisierte viele Staatsbetriebe und reduzierte staatliche Subventionen für lebensnotwendige Güter wie Lebensmittel und Benzin. Das libysche Volk leidet unter den gleichen hohen Preisen und der Arbeitslosigkeit als Folge der weltweiten kapitalistischen Wirtschaftskrise, die auch ein Grund für die Rebellionen in anderen Ländern ist.

Zweifellos finden die Kämpfe für politische Freiheit und soziale Gerechtigkeit, die die arabische Welt erfaßt haben, Anklang in Libyen. Zweifellos ist die Unzufriedenheit mit dem Ghaddafi-Regime die Motivation für einen bedeutenden Teil der Bevölkerung. Progressive überall sollten jedoch wissen, daß viele, die vom Westen jetzt als Oppositionsführer gefördert werden, langjährige Agenten des Imperialismus sind. Am 22. Februar zeigte die BBC, wie Menschenmengen in Bengasi die grüne Fahne der Republik einholten und sie durch die Fahne des 1969 gestürzten Monarchen König Idris ersetzten. Idris war die Marionette des US-amerikanischen und britischen Imperialismus.

Die westlichen Medien stützen einen großen Teil ihrer Berichte auf vermeintliche Tatsachen, die ihnen von der Exilgruppe »National Front for the Salvation of Libya« geliefert werden. Diese Exilgruppe wurde vom CIA trainiert und finanziert. Man muß einfach den Namen der Organisation und das Kürzel des US-Geheimdienstes bei Google eingeben, um Hunderte Hinweise zu finden.

In seinem Leitartikel vom 23. Februar schrieb das Wall Street Journal, daß »die USA und Europa helfen sollten, das Ghaddafi-Regime zu stürzen«. In den Vorstandsbüros und Korridoren in Washington spricht jedoch niemand davon, in Kuwait, Saudi-Arabien oder Bahrain zu intervenieren, um die dortigen Diktatoren zu Fall bringen. Das ist undenkbar, trotz all der Lippenbekenntnisse für die Massenkämpfe, die gegenwärtig die Region erschüttern. In Ägypten und Tunesien versuchen die Imperialisten ihr Möglichstes, um die Massen von den Straßen wegzubekommen.

Keiner sprach von einer US-Intervention, um den Palästinensern in Gaza zu helfen, als Tausende von ihnen unter der Blockade, den Bomben und während der Invasion Israels starben. Im Gegenteil, die USA intervenierten, um eine Verurteilung des zionistischen Siedlerstaates zu verhindern.

Das Interesse des Imperialismus an Libyen ist leicht zu durchschauen. Bloomberg.com schrieb am 22. Februar, daß Libyen zwar nur der drittgrößte Erdöllieferant Afrikas sei, aber erwiesenermaßen die größten Reserven besitze – 44,3 Milliarden Barrel. Libyen hat eine zahlenmäßig relativ kleine Bevölkerung, aber das Potential für gigantische Profite für die großen Ölkonzerne. So sehen es die Superreichen, und das steckt hinter ihrer angeblichen Sorge um demokratische Rechte der libyschen Bevölkerung.

Ghaddafis Zugeständnisse sind den imperialistischen Ölbaronen nicht genug. Sie wollen eine Regierung, die sich ihnen vollständig unterwirft. Sie haben Ghaddafi den Sturz der Monarchie und die Verstaatlichung des Öls nie verziehen. In seinen »Reflexionen« schreibt Fidel Castro vom imperialistischen Hunger nach Öl und warnt davor, daß die USA dabei sind, die Grundlage für eine Militärintervention in Libyen zu schaffen.

In den USA versuchen einige Kräfte, auf der Straße für eine US-Intervention zu mobilisieren. Wir müssen uns dem mit aller Macht widersetzen und Wohlmeinende an die Millionen von Menschen erinnern, die im Irak und in Afghanistan durch die US-Interventionen den Tod fanden oder fliehen mußten. Progressive Menschen haben Sympathie mit dem, was sie als Volksbewegung in Libyen sehen. Wir können dieser Bewegung am besten helfen, indem wir ihre rechtmäßigen Forderungen unterstützen und gleichzeitig jede imperialistische Intervention verurteilen, egal in welcher Form sie daherkommt. Das libysche Volk muß über seine Zukunft selbst bestimmen können.

Die Autorin arbeitet im »International Action Center« in New York und ist Mitglied im Sekretariat der »Workers World Party«, in deren Zeitung der Artikel zuerst erschienen ist. 2009 war Sara Flounders auf Einladung von junge Welt Referentin auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz (»Internationalismus und Gegenmacht heute«) in Berlin. Übersetzung: Doris Pumphrey